Persönlichkeit und Resilienz

Resilienz kann mit „innerer persönlicher Stärke“ umschrieben werden. Es sind persönliche Kraftquellen, die Menschen psychisch stärken. Was zur persönlichen Kraftquelle wird, kann recht unterschiedlich sein. Oft stehen sie im Zusammenhang mit herausfordernden Aktivitäten, die man mit Begeisterung tut. Es handelt sich dabei meist um Aktivitäten, von denen man aus Erfahrung weiß, dass man sie mit ziemlich Sicherheit erfolgreich meistern wird. An solchen herausfordernden Aktivitäten wachsen wir ständig, was sich auf die Persönlichkeit und die Resilienz laufend stärkend auswirkt. Es ist kein Zufall, dass, wie auch unsere Studie (Hofer & Aschauer 2020) deutlich belegt, ältere, erfahrenere Menschen tendenziell über eine höhere Resilienz verfügen, was wohl auf die umfangreicheren Erfahrungsmöglichkeiten zurückzuführen ist.

Persönlichkeitsentwicklung

Persönlichkeitsentwicklung passiert laufend bewusst und unbewusst. Um Persönlichkeitsentwicklung effizient vorantreiben und gezielte Entwicklungsmaßnahmen zur Erweiterung der Handlungskompetenz setzen zu können, muss vorerst die kritische Selbstreflexionskompetenz gestärkt werden. Nur wenn wir in der Lage sind eigene Neigungen, Verhaltenstendenzen und Verhaltensmuster kritisch zu reflektieren, kommen wir in die Lage unsere Verhaltensweisen bewusst zu steuern und wir werden Kapitän*in unserer selbst. Dabei geht es nicht darum, jedes oft tief verinnerlichte Verhaltensmuster oder emotionale Regungen in den Griff zu bekommen, viel ist schon erreicht, wenn es uns gelingt, uns unsere typischen Verhaltensweisen bewusst zu machen und erweiterte Handlungsmöglichkeiten ableiten und erste Veränderungsschritte einleiten zu können.

Die Entwicklung von Persönlichkeit

Erklärungsansatz nach dem sozialisationstheoretischen (vgl. Abels/König 2010; Hurrelmann 2006), dem kulturtheoretischen (Berger/Luckmann 2004) und dem systemisch-konstruktivistischen (vgl. Blumen 1969; Head 1913; Reich 1998; Wilke 1987) Ansatz. Die aktuellen Erkenntnisse aus der Neurobiologie (vgl. Hüther 2010; Ledoux 2010; Roth 2014; Solms/Turnbull 2009; Spitzer 2006) kommen zu einer ähnlichen Überzeugung und belegen diese Annahmen mit Erkenntnissen, die in der Hirnforschung mit bildgebenden Verfahren gewonnen wurden.

Es wird davon ausgegangen, dass die Merkmale von Persönlichkeit im sogenannten individuellen Sozialisationsprozess im Rahmen von Beziehungen und Beziehungserfahrungen geprägt werden. Dabei kommt dem jeweiligen Umfeld, den Bezugspersonen und sozialen Bezugssystemen, wie anfänglich der Familie, später den Peers (Clique), Schule ein hoher Stellenwert zu. Jedes heranwachsende Individuum baut in den Integrationsprozessen mit dem Umfeld und den dort gemachten Erfahrungen seinen eigenen Bedeutungs- und Bewertungsraster auf, der dazu dient Situationen rasch einschätzen und deren Bedeutung bewerten zu können. Dieser Raster ist einem ständigen Entwicklungsprozess ausgesetzt, der über neue Lebenserfahrungen gespeist wird. Dabei spielen emotionale Eindrücke eine maßgebliche Rolle, da sie es sind, die sich in den Erinnerung tief eingraben.

Dieser Bewertung- und Bedeutungsraster ist wie ein Scheinwerfer zu verstehen, der Dinge beleuchtet, die für diese Person bedeutsam sind und andere Dinge unbeleuchtet lässt, die für diese Person keine Relevanz haben. Die persönliche Wahrnehmung wird also immer selektiv sein und die Verhaltens- und Handlungsweisen werden sich stark an diesem subjektiven Raster orientieren. Letztlich bestimmt dieser Raster auch den Standpunkt, die Haltung und den Charakter einer Person und wird handlungsleitend.

Es sind eher tiefe Einschnitte in der Biografie eines Menschen, die zu einer radikalen Entwicklung- und Veränderungshaltung beitragen. Negative Einschnitte können destruktiv, im Sinne von Vorsicht und Ängstlichkeit wirksam werden, aber auch konstruktiv, im Sinne von Bestärkung und der Entwicklung von Resilienzfaktoren. Entscheidend dabei ist, wie gut es bei Negativerfahrungen gelingt, Erfahrungen zu verarbeiten und Situationen zu bewältigen und den Mut zu finden, sich auf ähnliche Situationen einzulassen oder mit ihnen umzugehen. Positive Einschnitte, wie z.B. besondere Erfolgserlebnisse gepaart mit wertvollen Beziehungserfahrungen können beflügeln und zur Suche nach  ähnlichen Erfahrungen motivieren.

Beziehung und Anerkennung spielen dabei eine wichtige Rolle, wie man z.B. aus der Bindungsforschung (vgl. Grossmann/Grossmann 2012) weiß. Werden Kinder nach Scheitererfahrungen liebevoll ermutigt, einen nächsten Versuch zu wagen, und es wird dabei das Scheitern nicht abgewertet und auch die Innigkeit der Beziehung nicht in fragegestellt, sondern im Gegenteil, das Kind getröstet und liebevoll begleitet, wird es den Mut fassen, weitere Versuche zu starten.

Generell ist zu beachten, dass Zuwendung, Anerkennung und die eigene Begeisterungsfähigkeit für eine Sache wichtige unterstützende Kräfte sind, um die Begeisterungsfähigkeit und Motivation von Menschen zu fördern und gerade im Zusammenhang mit Krisen- und Scheitererfahrungen Wegbereiter für die Entwicklung von Resilienzfaktoren sind.

Resilienz

Ich beschäftige mich seit über 10 Jahren mit dem Thema Resilienz, habe meine Dissertation in diesem Forschungsfeld geschrieben, ein Buch dazu veröffentlicht, Fachartikel verfasst und viele Vorträge und Seminare dazu abgehalten.

Resilienz steht für innere Stärke und emotionale Stabilität und bezieht sich auf individuelle Kompetenzen im Zusammenhang mit verschiedenen Persönlichkeitseigenschaften. Das heißt, man spricht nicht von der resilienten Persönlichkeit, sondern von Persönlichkeiten, die über spezielle Resilienzfaktoren verfügen. Häufig liegen die persönlichen Resilienzfaktoren dort, wo auch besondere individuelle Begabungen und Fähigkeiten stark ausgeprägt sind.

Die Entwicklung von Resilienzfaktoren steht in einem engen Zusammenhang mit gut bewältigten Herausforderungen im Leben, das können Lebenskrisen oder Einschnitte im Leben gewesen sein oder besonders schwierige Lebensbedingungen, die zu meistern waren oder sonstige Belastungssituationen, die aber besonders gut bewältigt wurden. Die Erfahrung, auch unter widrigen Umständen bestimmten Herausforderungen, gut gewachsen gewesen zu sein, wirkt bestärkend und positiv nach. Häufig waren auch Personen im Spiel, die an einen geglaubt und einem besonders viel Vertrauen geschenkt haben. Oft sind das auch nur ganz kurze Lebensphasen gewesen, aber das kann ausreichen, damit sich besondere Resilienzfaktoren herausbilden.

Ein paar wichtige Hinweise und Thesen rund um das Thema Resilienz

  • Es gibt wesentlich mehr, als die häufig kolportierten sieben Resilienzfaktoren, allerdings würden diese sieben Faktoren im Ranking sehr weit oben stehen.
  • Für Resilienzfaktoren gibt es keine immerwährende Bestandsgarantie. Das heißt, es kann Lebensphasen geben, in denen einzelne Resilienzfaktoren nur bedingt zur Verfügung stehen.
  • Einmal vorhandene Resilienzfaktoren gehen in der Regel allerdings nicht völlig verloren und man kann später – oftmals unter veränderten Rahmenbedingungen – wieder gut daran anknüpfen. 
  • Resilienzfaktoren stehen nicht uneingeschränkt zur Verfügung und verlangen geeignete Rahmenbedingungen, damit sie zur Entfaltung kommen können. Den Umgebungsbedingungen und in betrieblichen Kontexten besonders auch den Führungskräften kommt hier eine zentrale Bedeutung zu.
  • Äußerst dynamische Entwicklungen in unserer Gesellschaft sorgen ständig für neue Herausforderungen, wir haben also laufend die „Chance“ Neues zu lernen und uns weiterzuentwickeln, das gilt auch für die Resilienzfaktoren, wenn wir uns bestimmten Herausforderungen bewusst stellen.

Krisensituationen und Resilienz

Zwischen der Bewältigung von Krisensituationen und der Entwicklung von Resilienz gibt es einen engen Zusammenhang. Dieser Zusammenhang wurde von Resilienzforscher*innen lange Zeit vermutet (vgl. Hepp 2006, Hildenbrand 2006, Welter-Enderlin 2010) und u.a. in der Studie Krisenbewältigung und Ressourcenentwicklung (Hofer 2017) anhand mehrerer Fallrekonstruktionen ausführlich belegt. Auch unsere aktuelle Studie mit N = 1600 Teilnehmer*innen (Hofer/Aschauer 2020) unterstreicht diesen Zusammenhang deutlich. Das soll nun nicht die Aussage „was uns nicht umbringt, macht uns stärker“ das Wort reden, da unbewältigte Krisensituationen natürlich für Betroffene dramatische Folgen haben können. Allerdings gelingt es, Krisenherausforderungen gut zu bewältigen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Bewältigungserfahrungen zur Resilienzentwicklung wesentlich beitragen. Was dabei zu beachten ist und Betroffenen daher dringend zu empfehlen ist, wird in den folgenden Handlungsempfehlungen für den Umgang mit Akutkrisen zusammengefasst.

Handlungsempfehlungen für akute Krisensituationen

  • Machen Sie sich bewusst, dass es immer alternative Lösungsmöglichkeiten, auch wenn es Situationen gibt, die Ihnen ausweglos erscheinen mögen.
  • Bleiben Sie in der Aktivität, vermeiden Sie Erstarrung, Ohnmacht, Selbstaufgabe und Abhängigkeiten. Aktivität beginnt bei der bewussten Atmung, bei feinen körperlichen Bewegungen, beim Aufsuchen von Lieblingsplätzen z.B. in der Natur, beim Verschristlichen, Visualisieren der scheinbar ausweglosen Situation, beim Ausüben von Aktivitäten, die Sie gerne tun, auch wenn das Überwindung kostet.
  • Versuchen Sie sich Ihre Gefühle und Empfindungen in solchen Situationen bewusst zu machen und versuchen Sie diese zu artikulieren oder niederzuschreiben, Tränen fließen zu lassen, Ärger, Wut, Trauer zum Ausdruck zu bringen.
  • Gehen Sie in Kontakt mit anderen Menschen (Leidensgenossen, Experten*innen, Freunde, nahestehende Personen, …), diese können Sie dabei unterstützen, den in Krisen meistens sehr eingeschränkten Blick für Lösungen wieder zu erweitern. 
  • Scheuen Sie nicht davor zurück, Hilfe und Unterstützung anzunehmen! Es gibt Situationen, die Sie aus eigener Kraft alleine nicht bewältigen können. Gestehen Sie sich ein, dass es Situationen gibt, die ohne fremde Hilfe nicht bewältigter ist. Hilfe anzunehmen ist keine Schwäche, sondern zeigt, dass Sie den Mut und die Stärke aufbringen, sich momentane Grenzen einzugestehen.
  • Wenn Sie seelischen Schmerz empfinden, stellen Sie sich diesem Schmerz, lassen Sie ihn zu, er wird weniger, wenn Sie das tun. Versuchen Sie nicht, davor zu flüchten oder ihn völlig auszublenden, aber entscheiden Sie selbst, wenn es genug ist und Ablenkung (andere Aktivitäten oder Ruhe) angesagt ist. 
  • Richten Sie die Aufmerksamkeit auf Gedanken, Lebewesen, Erinnerungen, die Ihnen aus Ihrer Erfahrung immer Kraft und Mut gegeben haben. 

Verarbeitung von Krisensituationen und Resilienzentwicklung

  • Versuchen Sie mit etwas Abstand nach akuten Krisensituationen Ihre Erfahrungen in der Situation oder der Phase bewusst (alleine oder gemeinsam mit nahestehenden Personen oder Experten*innen) zu reflektieren und möglicherweise auch schriftlich festzuhalten.
  • Gerade nach heftigeren Krisenereignissen, kehren Sie NICHT zur Tagesordnung über, ohne sich ausreichende Reflexionszeiten zu gönnen, in denen Sie mit den gemachten Krisenerfahrungen nochmals in Auseinandersetzung gehen.
  • Machen Sie sich neben den vielleicht schmerzhaften Erfahrungen vor allem auch bewusst, welche Lernerfahrungen Sie für sich persönlich aus dieser kritischen Lebenserfahrung mitnehmen.
  • Auch hier gilt, möglicherweise braucht es auch fremde Unterstützung, die Sie bei diesem Verarbeitungsprozess begleitet.
  • Gut aufgearbeitete Krisenerfahrungen sind ein wesentlicher Beitrag bei der Entwicklung von Resilienzfaktoren und der Erweiterung unserer persönlichen Bewältigung- und Handlungsmöglichkeiten gerade in herausfordernden Lebenssituationen.
  • Versuchen Sie diese Lernerfahrungen aus der bewältigten Krisensituation als „Geschenk“ anzunehmen und darin auch Sinnhaftigkeit zu erkennen. 

Zum persönlichen Umgang mit der Corona-Krise

Bei der Corona-Krise handelt es sich um eine Form der Krise, mit der es quasi kaum Vorerfahrungen gibt. Das besondere an dieser Krise ist auch, dass es viele Verlierer, aber durchaus auch Gewinner gibt, dass sie für die meisten Menschen derzeit im physischen und ökonomischen Sinne zwar nicht existenzbedrohend ist, aber jeder unmittelbar Betroffene kennt und jeder von den eingeleiteten Maßnahmen direkt betroffen ist. Die Folgen dieser Krise werden uns noch länger begleiten und Sie sollten diese Zeit dazu nutzen, für sich selbst Klarheit zu gewinnen, was Sie in Zukunft mehr tun werden und wollen bzw. nicht mehr tun werden und wollen. Es geht darum, dass Sie als Person in der Kraft bleiben und trotzderzeitiger Einschränkungen gut handlungsfähig und aktiv bleiben. Das geht auch, wenn ihre Lebensbedingungen  gerade schwierig sind, weil Sie vielleicht eine alleinerziehende Mutter sind, deren Wohnverhältnisse derzeit beengt sind.

  • Nehmen Sie sich ausreichend Zeit für sich selbst, machen Sie sich klar, was Sie von Ihrem Leben wirklich wollen, was Ihnen in Ihrem Leben wirklich wichtig ist. Sorgen Sie für eine Abwechslung 1x am Tag und wenn es ein täglicher Spaziergang ist. Es geht darum, täglich etwas zu tun, was Ihnen Freude bereitet.
  • Sorgen Sie – so gut das möglich ist – für ausreichend Kontakte zu Menschen, die Ihnen nahe stehen für Gespräche über Themen, die Sie bewegen. Wenn diese Möglichkeit nicht besteht, schreiben Sie Ihre Gedanken in ein „Corona“-Tagebuch. Es geht darum, auf diese Weise emotionale Befindlichkeiten zu verarbeiten.
  • Nehmen Sie die Situation an, wie sie eben gerade ist. Es wir Ihnen vermutlich wenig bringen, wenn Sie sich total über die derzeitige Situation aufregen. Sie sollen nicht stillhalten, das ist damit nicht gemeint, sondern nutzen Sie die Möglichkeiten und Grauzonen, um Ihr Wohlbefinden zu fördern.
  • Schmieden Sie an konkreten Gedanken, was Sie nach der Krise noch alles tun, bzw. anders als jetzt tun werden. 
  • Versuchen Sie, die erlebte Situation differenziert zu betrachten. Was sind positive Dinge, die sich aufgrund der Situation ergeben und ergeben haben? Wenn Ihnen das schwerfallen sollte, versuchen Sie trotzdem, Ihre Aufmerksamkeit auf die positiven Ereignisse in dieser Situation zu richten. Machen Sie sich eine Liste, in der Sie auch die positiven Dinge vermerken.
  • Bleiben Sie handlungsfähig, auch unter noch so beengten Bedingungen gibt es Möglichkeiten für geistige, körperliche, soziale Beweglichkeit. Erstarren Sie nicht, dröhnen Sie sich nicht mit Rauschmittel zu, verfallen sie nicht ins Nichtstun und in eine Opferhaltung. Verweigern Sie daher Ihr Ohr irgendwelchen Hasspredigern und Polarisieren, das kostet Ihnen viel Energie (Ärger, Wut, Unzufriedenheit, …) und bringt Sie nicht wirklich weiter. Versuchen Sie besser diese Energie für Zukunftsgedanken oder sonstiges konstruktives Engagement zu nutzen. Gehen Sie davon aus, dass es momentan ohnedies nicht die richtigen oder die falschen Maßnahmen gibt. Die Wahrheit liegt vermutlich dazwischen. Bewerten Sie stattdessen differenziert im Sinne von, „diese Maßnahme finde ich gut und diese Maßnahme finde ich nicht so gut“, das macht mehr Sinn und wird Ihrer Befindlichkeit sicher besser tun und sie laufen nicht Gefahr in eine problematische Opferhaltung abzugleiten.

Menschen mit hoher Resilienz kommen auch mit der Corona-Krise besser zurecht

Bestandsaufnahme während der Corona-Akutphase. Der Unterschied bei den Bewertungen der persönlichen Befindlichkeit während der akuten Krisenphase zwischen Personen mit hoher Resilienz (linke Kurve; n=277) und niedriger Resilienz (rechte Kurve; n=123) sehr deutlich wird deutlich. Auszug aus dem Zwischenbericht der Resilienz-Längsschnitt-Studie (Aschauer & Hofer 2020).

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